Netzausbau

Datum: 23.02.2023 (16.12.2019)

Einleitung

Im Rahmen der Energiewende wird viel über den bevorstehenden notwendigen Netzausbau gesprochen und z. T. polemisiert. 

Es ist unerlässlich, dass man bei der Energiewende nicht nur über Kraftwerke spricht und diese als alleiniges Zentrum darstellt. Das Stromnetz ist das Rückgrat der Stromversorgung und muss die geforderten Stromleistungen und -mengen stets transportieren können. Deshalb ist es zwingend notwendig, dass man nebst dem Ausbau der Produktionsstätten in der Schweiz auch die Stromnetzkapazität im Auge behält und die ausreichende Menge stets sicherstellt. 

Die Sicherstellung der ausreichenden Netzkapazität kann auf verschiedene Wege erreicht werden. Der bisher "bequemste" Weg war stets die Stromleitungen zu ersetzen, resp. zu verstärken. Doch dieser Weg ist weder nachhaltig noch kostenoptimal. Leider ist dieser Weg immer noch jener, welcher von der Netzbranche am liebsten und als alleinige Lösung eingebracht wird. Die technischen Neuerungen und Möglichkeiten werden weitgehendst ausser acht gelassen. Wir hätten heute viele intelligente Möglichkeiten um unnötigen Netzausbau zu verhindern und die einzelnen Netzteilnehmer intelligent im Stromnetz zu integrieren.

Leider geben die heutigen gesetzlichen Vorgaben nicht unbedingt Anreize, um in erster Linie Netzkapazitäten einzusparen. Siehe dazu  weiter unten das Kapitel "Falsche Anreize".

Doch es bestehen heute technische Möglichkeiten, welchen den sicheren Netzbetrieb garantieren und den Netzausbau verhindern - jedoch werden viele von den Netzbetreibern nicht erlaubt.

Ausspeiseleistung NICHT gleich Einspeiseleistung

Spannungshaltung

Ein wichtiger Fakt ist, weitgehendst unbekannt in der Solarbranche und dessen Kunden, dass eine garantierte Ausspeiseleistung (oder Bezugsleistung) nicht die gleiche Einspeiseleistung garantiert. Jedes Gebäude hat eine gewisse Grösse an Netzanschluss gekauft. Doch gilt dies nicht für die Einspeisung. Es ist sehr gut möglich, dass ein Netzanschluss eines Gebäudes mit 63A abgesichert, also gekauft wurde, aber die maximal erlaubte Einspeisung lediglich 20A beträgt. Dies hat mit der jeweiligen Netztopologie und der Spannungshaltung zu tun. Auf die genaue technische Erklärung wird hier verzichtet.

Gleichzeitigkeitsfaktor

Im Weiteren muss beachtet werden, dass die Ausspeisung und die PV-Produktion einen unterschiedlichen Gleichzeitigkeitsfaktor haben. Beim Verbrauch rechnet man mit einem Gleichzeitigkeitsfaktor von z.B. 0,4 . Das heisst, in einem Quartier ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass alle Gebäude ihre Lasten gleichzeitig laufen lassen. Dies ermöglicht, dass jeder Netzanschluss für sich mehr Strom beziehen kann als eigentlich die Quartiersleitung in Summe erlauben würde. Aber eben, die Erfahrung zeigt, dass es eben nicht gleichzeitig vorkommt oder gewisse Grossverbraucher bewusst zeitversetzt laufen können. Bei der PV-Produktion jedoch muss man mit einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 1 rechnen. Dies aus dem Grund, weil die Wetterbedingungen im Quartier immer gleichzeitig identisch sind. Deshalb muss die Summe aller Einspeisungen von der Quartiertsleitung getragen werden können. 

Für die Einspeisung gibt es aber andere effiziente Möglichkeiten, um eine Leitungsverstärkung zu verhindern.

Netzanschlussoptimierung bei PV-Produktion

Einleitung

Beim Netzanschluss von PV-Kraftwerken werden heute leider massiv Netzkapazitäten unnötig verschwendet. Die heutige Praxis geht daher nicht wirklich schonend mit dem vorhandenen Stromnetz um. Dies betrifft alle Akteure: die Solar- und Netzbranche sowie die PV-Betreiber. Es wäre jedoch heute möglich, 30-50% der reservierten Netzkapazität für PV-Einspeisung freizugeben, ohne dass grosse Mindererträge auftreten. Jeder Akteur-Typ hat unterschiedliche Gründe, warum auf einen effizienten Netzanschluss bei PV-Kraftwerken kein Wert gelegt wird.

Nicht Netzeinsparung sondern Mehrnutzung

In vielen Argumentationen und Studien wird davon gesprochen, ob dezentrale Produktion wirklich netzentlastend ist. Im ersten Gedanken scheint die Fragestellung plausibel. Jedoch ist die Fragestellung in Anbetracht auf das Gesamtsystem nicht korrekt: bestehendes Stromnetz und Elektrifizierung. Die Fragestellung sollte eher lauten, wie viele Verbraucher und Produktionsstätten mehr können wir an das bestehende Stromnetz, dank dezentraler Produktion, anschliessen?

Unwissenheit

Leider existieren bei allen Akteur-Typen erhebliche Wissenslücken in Bezug auf PV-Produktion und PV-Betrieb. Hier werden kurz die wichtigsten Lücken und Irrtümer aufgelistet:

Mehrstufiges Netzanschluss-Optimierungskonzept

Um teuren und meistens unnötigen Netzausbau, aufgrund von PV-Einspeisung, zu verhindern, gibt es zahlreiche Massnahmen, die sich gut kombinieren lassen. Bei konsequenter Anwendung dieser einzelnen Massnahmen liessen sich leicht 30-50% der heute benötigten Netzkapazitäten einsparen, resp. freimachen. Das gute daran, die Massnahmen lassen sich mehrheitlich auch beim bereits bestehenden PV-Park nachträglich anwenden. Das mehrstufige Konzept involviert unterschiedliche Technologien und Akteure.

Vertraglich abgemachte maximal Bezugs- und Einspeiseleistungen

Die gekauften Netzanschlüsse garantieren die Höhe für den Bezug, aber nicht für die Einspeisung. Eine Nicht-Überschreitung der maximalen Bezugsleistung/ -strom wird mithilfe der Sicherung garantiert. Weil wir aber bei der PV-Produktion einen Gleichzeitigkeitsfaktor von 1 haben, kann der maximale Einspeisestrom unter der Sicherungsgrösse liegen. Daher muss diese Einhaltung vom VNB stetig überwacht werden und bei Verstössen allenfalls sanktioniert werden. Dies ist mit dem laufenden SmartMeter Rollout und dem Head-End-System (HES) kein Problem und läuft vollautomatisiert ab. Bestehende Systeme müssen lediglich durch ein Zahlenfeld (maximale Einspeiseleistung) und der kontinuierlichen Kontrolllogik ergänzt werden.

Nachträgliche Senkung der Anschlussgrösse - Freigabe von Netzkapazitäten

In bestehenden Quartieren treten fortlaufend Änderungen an den Gebäuden und der Verbraucher auf. Aus diesem Grunde ist es nahezu garantiert, dass die bestehende Quartiertsleitung für eine volle Elektrifizierung oder PV-Produktion auf allen Dächern nicht ausreichend ist. Da die Änderungen nicht gleichzeitig stattfinden, sondern versetzt über 5-20 Jahre, kann kein Konzept umgesetzt werden, welches alle Verbraucher und alle Produktionen beachtet. Dies ist nicht weiter schlimm, weil der Netzbetreiber im Nachhinein alle relevanten Informationen hat und so den Netzanschlussnehmern Empfehlungen und Anreize für die optimalste Netznutzung abgeben kann.

Jede Zuleitung zum Gebäude und anteilsmässige Beteiligung an den vorgelagerten Leitungen werden vom Gebäudeeigner bei Anschluss bezahlt. Man bezahlt pro Ampère zugesichertem Bezugsstrom (nicht Einspeisung). Ein EFH kauft beim Bau des Hauses 40A und ist dementsprechend abgesichert. Doch dank dem SmartMetering vom Netzbetreiber und dem Energiemanagementsystem (EMS) des Hausbesitzers sieht der Netzbetreiber, dass der Kunde nie über 30 A bezieht und nie über 20A mit seiner PV-Anlage einspeist, obwohl beim Bau der Anlage 28A angegeben wurden.

Ohne die Notwendigkeit die Sicherung zu wechseln, könnte der Netzbetreiber nun mit dem Kunden vertraglich vereinbaren, dass der Netzanschluss im Bezug von 40 auf 30 A und die maximale Einspeisung von 30 auf 20 A reduziert wird. Auf diese Weise werden statisch reservierte Netzkapazitäten frei, welche nun für weitere PV-Anlagen oder weitere Elektrifizierung zur Verfügung stehen. Der Kunde kann dank dem EMS diese maximal abgemachten Ströme einhalten und der VNB jederzeit mit dem SmartMetering überwachen. Wenn vorsätzlich die abgemachten Maximalleistungen/-ströme überschritten werden, könnte der Kunde sanktioniert werden.

Da der Kunde die Anschlussgrösse von 40A bereits einmalig bezahlt hat, müsste der VNB dem Kunden die 10A teilweise zurückzahlen oder anderweitig vergüten. Dadurch werden mit dem gleichen Teilnetz und ohne Kosten für Umbauarbeiten (inkl. Sicherung) weitere PV-Produktion und weitere E-Autos im Quartier ermöglicht.

Schutzkonzepte

Was sehr oft in der Diskussion rund um Netzkapazitäten und PV-Ausbau vernachlässigt wird, sind die PV-System integrierten Schutzkonzepte. Oft hören wir, dass zu viel Einspeisung die Netzspannung so erhöht, dass Haushaltsgeräte der Nachbarn zerstört werden können. Dies ist aus Sicht Wechselrichter deshalb nicht möglich, weil der Einspeiser immer die höchste Spannung hat (und nicht wie oft erzählt die Nachbarn) und somit der Wechselrichter Massnahmen ergreiffen MUSS bis dahin, die Anlage vom Netz zu nehmen. Nachfolgendes Bild zeigt dieser letzte und drastische Schutz: die Anlage vom Netz nehmen. Dies ist aber keine intelligente Massnahme, aber ein garantierter Schutz. Der bessere Variante ist die P(U) Funktion, welche die Leistung stufenlos reduziert je nach Spannungshöhe.

Flexibilität und Rückliefertarif

Leider wurde ich erst kürzlich (Herbst 2023) auf den Fakt hingewiesen, dass seit längerem die Flexibilität bei der PV-Einspeisung nutzbar wäre. Dies schafft den Anreiz, möglichst wenig Netzkapazität für möglichst viele Kilowattstunden Strom geliefert für andere Netzteilnehmer....vor Ort.

Frage: Was ist der Wert, wenn ein PV-Produzent freiwillig am Netzanschlusspunkt die maximale Einspeiseleistung auf 60% oder gar 50% dauerhaft reduziert? 

Antwort: 2 Rappen mehr Vergütung für eingespeisten PV-Strom für Kappung bei 60%.

Begründung: Dies verhindert im ersten Schritt garantiert einen notwendigen Netzausbau und führt zusätzlich zu mehr Spannungsstabilität. Mit möglichst wenig Netz möglichst viel Strom transportieren müsste das generelle Ziel sein. Auf der Seite "Charakteristik Leistungsbegrenzung" zeigt Kurve 3 auf, wie die kWh/kVA Netzanschluss steigt, sobald ein Peak-Shaving praktiziert wird.

Falsche Anreize

Unsere heutige Gesetzgebung im monopolistischen Stromnetz fördert nicht die Intelligenz bei der Nutzung der verfügbaren Netzkapazität, sondern veranlasst gerne einen vorschnellen Netzausbau oder Leitungsverstärkung. Zwar gibt es seit einigen Jahren die Sunshine Regel der ElCom, jedoch kann diese mit Argumenten gut umgangen werden. Solange die technische Intelligenz nicht die bestehende Netzkapazität nutzen kann, greift das Argument, dass eine Netzverstärkung unabdingbar ist. 

Wichtige Ausgangslage: die anrechenbaren Kosten, welcher ein Netzbetreiber den Kunden verrechnen darf, ist gesetzlich geregelt. Oder einfacher gesagt, die Höhe des Gewinns im Stromnetzbetrieb ist gesetzlich limitiert.

Aber warum soll der Netzausbau für den Netzbetreiber interessant sein? Vorab muss erwähnt sein, dass grössere Netzbetreiber gerne zu einer Netzverstärkung greifen, anstatt eine Alternative umzusetzen. Kleinere Genossenschaften jedoch zeigen sich eher interessiert, einen Netzausbau zu umgehen, wenn man dies mit technischen Mitteln verhindern kann. Dabei müsste man meinen, dass gerade wegen der Grösse die technischen Möglichkeiten und das Fachwissen bei grösseren Netzbetreibern eher dazu führen sollten, dass man mit technischer Intelligenz den Netzausbau verhindern will. 

Nebst dem Auftrag für den Netzausbau kann ein "möglicher" 😉 Grund kann der WACC sein. Der WACC beschreibt den Zinssatz für das aufgenommene Kapital zum Stromnetzbau. 2023 und seit einigen Jahren liegt dieser bei 3.83%. 2024 wird er bei 4.13% zu liegen kommen. Früher war dieser sogar auf 4.7%. Dieser Zinssatz deckt somit alle Kosten rund um den aufgenommenen Kredit. Der Zinssatz für Kredite oder Hypotheken variieren stark je nach wirtschaftlicher Lage. Doch Kredite an Netzbetreiber bergen praktisch Null Risiko. Denn die Kostendeckung der Netzkosten durch die Kunden ist garantiert und somit ein Ausfall der Kreditrückzahlung praktisch unmöglich. Selbst kurz nach 2010 als die Zinssätze deutlich höher waren als heute und der WACC über 4% war, konnten Netzbetreiber Kredite für den Netzbau zu 1% aufnehmen. Dies variiert sicherlich bei unterschiedlichen Netzbetreibern und Banken, jedoch gewiss nicht um Faktoren. Das Gesetz sagt, dass ein Netzbetreiber die Kapitalkosten tiefer ansetzen kann, wenn diese tiefer liegen. Jedoch darf er ohne genauere Darlegung den vollen WACC ausnutzen. Obwohl der Gewinn beim Netzbetreiber staatlich reguliert ist, steht dem Netzbetreiber genau diese Differenz zwischen realen Kapitalkosten und dem WACC zur freien Verfügung. Diese Differenz darf sowohl für Boni wie auch für Dividenden verwendet werden, (bestätigt durch die ElCom auf Anfrage). Damit könnten auch privatwirtschaftliche Firmen aufgekauft werden. Dies kann ein möglicher Grund sein, warum genossenschaftlich aufgestellte Netzbetreiber eher offen sind für Netzausbauverhinderung als die grossen Netzbetreiber.

Persönliche Erfahrung

Nach zweijähriger Tätigkeit in der PV-Branche und vielen hundert Stunden Produktionsanalyse wurde mir bewusst, welch massive Netzkapazitäten beim PV-Anschluss verschwendet, resp. blockiert werden. Deshalb entschied ich mich 2013 die "intelligente" und "optimierte" Netzintegration in Angriff zu nehmen. Der naheliegendste Weg war bei einem Netzbetreiber zu arbeiten. Doch obwohl damals bereits über die "massive" Netzbelastung durch PV berichtet wurde, war kein Netzbetreiber daran interessiert, generell 30-50% an Netzkapazitäten bei der PV-Einspeisung einzusparen. Am Telefon einer Spontanbewerbung bei einem zentralschweizerischen Stadtwerkes wurde mir gesagt, dass sie alles im Griff hätten mit den PV-Leistungen und es attraktiver sei, zusätzlich ein Netzverstärkungsauftrag an Land zu ziehen...es kann ja über die SDL oder den Kunden eingefordert werden.

Diese Aussage wäre heute definitiv verwerflich (NOVA-Prinzip, Sunshine Regulierung, ...), aber kann im Stillen trotzdem noch gut erreicht werden.